Wenn Seeleute mit ihren Arbeitsbedingungen unzufrieden waren oder die Reedereien ihnen die Heuer (Löhne) vorenthalten wollten, strichen sie die Segel (engl. to strike the sails), legten also die Arbeit nieder und machten die Schiffe manövrierunfähig. Mit der in Großbritannien im 18. Jahrhundert beginnenden Industrialisierung wurde „to strike“, die organisierte Arbeitsniederlegung, zum Kampfmittel aller Arbeiter*innen. Ihre deutschen Kolleg*innen übernahmen einige Jahrzehnte später den englischen Begriff. Eingedeutscht wurde daraus „streiken“.

Der Streik ist bis heute das wichtigste Mittel der abhängig Beschäftigten, um ihre Interessen zu verteidigen und – gegebenenfalls auch gewaltsam – durchzusetzen. „Wenn dein starker Arm es will, stehen alle Räder still“ – die alte Losung der Arbeiter*innenbewegung wurde alsbald zum Schreckgespenst der Kapitalist*innen. Der bürgerliche Staat versuchte mit allen Mitteln, Streiks zu unterbinden. Sie wurden verboten und kriminalisiert, gegen streikende Arbeiter*innen wurde mit Polizei, Militär und Hunden vorgegangen. Dabei sind immer wieder auch Schüsse gefallen. Beim Generalstreik 1886 zur Durchsetzung des Achtstundentags in den USA richtete die Polizei auf dem Haymarket in Chicago ein Massaker unter den Arbeiter*innen an, zudem wurden sieben Streikführer später hingerichtet. Da der Streik am 1. Mai begonnen hatte, wurde dieser Jahrestag bald überall auf der Welt begangen und zum Kampftag der Arbeiter*innen.

Als sich die organisierte Arbeiter*innenbewegung über ihre Parteien und Gewerkschaften ein – bescheidenes – Mitspracherecht im bürgerlichen Staat erkämpft hatte, wurden Streiks nicht mehr grundsätzlich verfolgt, aber strengstens reglementiert. Neben generellen Streikverboten für bestimmte Berufsgruppen (beispielsweise Beamte) wurden für alle anderen bürokratisch-juristische Regeln festgelegt, wann und wie Streiks stattfinden dürfen. Sogenannte „politische Streiks“, bei denen es nicht nur um Löhne, Arbeitszeiten und -bedingungen geht, sind in Deutschland bis heute nicht zulässig.

Wie überall auf der Welt wurden Streiks auch in Lateinamerika spätestens im 20. Jahrhundert zum zentralen Instrument der Arbeiter*innen. Und auch dort waren und sind streikende Kolleg*innen immer wieder von Repression betroffen. Am schlimmsten sicherlich unter den zivil-militärischen Diktaturen, die in den 1970er- und 1980er-Jahren in den meisten Ländern Süd- und Mittelamerikas regierten. Doch die Verfolgung, Inhaftierung und Ermordung kämpferischer Kolleg*innen war keineswegs ein Alleinstellungsmerkmal der Militärs. Auch unter sogenannten „demokratischen“ Regierungen waren und sind sie an der Tagesordnung. So war das zivil regierte Kolumbien noch in jüngster Zeit weltweit das gefährlichste Land für organisierte Arbeiter*innen und andere soziale Gruppen, die für ihre Rechte eintreten.

Aber die Geschichte der Streiks in Lateinamerika ist nicht nur eine von Verfolgung und Gewalt. Viele Arbeitskämpfe waren erfolgreich. Aktive Kolleg*innen und Gewerkschaften konnten damit bessere Löhne, Gesundheitsschutz und Arbeitszeitverkürzungen durchsetzen. Große Streiks konnten Diktaturen ins Wanken bringen, wie etwa die der Metallarbeiter im Großraum São Paulo 1978 bis 1980, oder leiteten einen politischen Wandel ein, wie in den letzten Jahren in Chile und Kolumbien.

Weil die Arbeitskämpfe weniger reglementiert sind als in Mitteleuropa und die Gewerkschaften oft nur geringe oder gar keine Streikgelder zahlen können, müssen Streiks in Lateinamerika viel stärker in soziale Strukturen eingebunden sein, um Aussicht auf Erfolg zu haben. Fast immer, wenn in Lateinamerika gestreikt wird, organisieren die Gewerkschaften Suppenküchen, um die Streikenden und ihre Angehörigen mit Essen zu versorgen, oft gemeinsam mit den Nachbarschaften bestreikter Betriebe und anderer Zusammenhänge wie Unis oder Kirchengemeinden. Häufig unterstützen Künstler*innen die Kolleg*innen mit Konzerten, Straßentheater oder Workshops.

Manche in Lateinamerika praktizierte Streik- und Aktionsformen könnten auch anregend für
europäische Kolleg*innen sein. Während die von der „Gewerkschaft der Lokführer“ im Deutschen Beamtenbund organisierten Bahnstreiks auf immer weniger Akzeptanz in der Bevölkerung stießen, sind die U-Bahn-Streiks in Buenos Aires populär. Die argentinischen Kolleg*innen lassen nämlich die Bahnen fahren, öffnen aber die Sperren und Drehkreuze an den Bahnsteigen, sodass die Leute ohne Fahrscheine fahren können. So geht Streik für alle!