„Wer sich ständig beugt, wird letztendlich krumm und damit entmenschlicht“, schrieb der brasilianische Theologe Leonardo Boff in der Begründung seines Rücktritts vom Amt eines Priesters der katholischen Kirche. Boff entschied sich für das Leben und gegen den entmündigenden Apparat. Ein mutiger und hoffnungsgebender Schritt in einer Zeit der Hoffnungslosigkeit und Mutlosigkeit? Auf alle Fälle ein Schritt voran – zurück zur uralten Schule für das Erlernern des aufrechten Gangs. Wie seltsam fremd das klingt in einer Zeit, die nur noch das Modernismus-Lied zu kennen scheint, die nur erlaubt, was Konkurrenz gestattet und Kapital vermehrt, der Leben so egal ist wie der Tod und das Töten.

Szenenwechsel: Surrealistisches Theater auf und um den „Weltwirtschaftsgipfel“. In München trafen sich die blutleeren Repräsentanten einer sinnlich toten Epoche. Vampire, die – auf ihre Saugwerke reduziert – immer weiter warmes Blut in kaltes Glas ableiten, allgegenwärtig geschützt von einem gigantischen Sicherheitsaufgebot, das – vor allem in Gestalt des Sondereinsatzkommandos USK – als prügelnder Mob durch die „heimliche Hauptstadt“ zog.

Macht kennt bekanntlich keinen Spaß. Vor allem ist sie empfindlich gegen Infragestellung jeglicher Art. Wer sie dennoch entlegitimiert, kriegt es mächtig drauf – die Münchner DemonstrantInnen ebenso wie Leonardo Boff und die lateinamerikanische „Theologie der Befreiung“ bzw. ihre Anhänger.

Warum Macht sich in München so aufgeführt hat, ist nicht so ganz einleuchtend, weil die Entlegitimierungskräfte dort alles andere als stoßkräftig waren. Etwas anders ist das im Fall Leonardo Boff. Die Bewegung, der er sich angehörig fühlt, stellt nicht nur objektiv die römisch-katholische Hierarchie in Frage, sie sticht vor allem in die empfindlichste Stelle moderner Macht: Sie greift nach dem Produktionsmittel Land. Und wenn keine Regel mehr zu gelten scheint in der Schnellvergänglichkeit der „Postmoderne“, das Gesetz von der Unberührbarkeit von Privatbesitz durch schmuddelige Habenichtse gilt eisern.

Wenn es um Produktionsmittel geht, wird jede Macht rabiat. Ein kleines bißchen können wir das auch hier in der BRD im Bereich der Hausbesetzungen nachvollziehen. Kaum mehr nachvollziehbar für uns sind Kämpfe um Grund und Boden (oder gar um Fabrik- und Bankensozialisierung), wenngleich uns die Medien immer wieder Landenteignungen vorführen. Und das gar nicht so selten. Immer wieder mal können wir im TV anschauen, wie z.B. schwer bewaffnete israelische Siedler auf dem Dach eines palästinensischen Hauses einen Siegestanz aufführen, oder man zeigt uns eine israelische Wasserleitungstrasse auf der Obstplantage eines palästinensischen Bauern und gleich daneben den von Israelis zugeschütteten (altmodischen) Brunnen des Palästinensers. Oder wir sehen, wie südamerikanische Tieflandindios von Bulldozern oder Goldsuchern verdrängt werden. Was wir gewöhnlich sehen, ist das fertige Ergebnis, was wir kaum zu sehen bekommen, ist die direkt angewandte Gewalt. Wir sehen die Opfer, manchmal deren Proteste, die nackte Gewalt bekommen nur die Opfer zu Gesicht – und die können danach oft nicht mehr darüber sprechen.

Zurück zu Leonardo Boff: Die Theologie der Befreiung ist ein bedeutendes und starkes Instrument unter anderem für die Menchen, die sich als Bauern und Bäuerinnen auf und aus dem Land ernähren wollen, egal ob als „Gärtner/in“ im tropischen Regenwald, als Subsistenzbauer/bäuerin im nordostbrasilianischen Trockengebiet oder vielleicht als Mitglied einer größeren Landkooperative im Süden. Diese Menschen in ihrem Lebens- und Überlebenskampf zu unterstützen, hilft auch uns selber. Wir könnten in diesem Zusammenhang ruhig auch mal nach Osten blicken, dort gibt es ziemlich viele Menschen, die nicht bereit sind, „ihre“ Agrarkooperative einfach zugunsten des privaten Wirtschaftens aufzugeben.

Unsere Zeitung ist wieder ganz in weiß: nicht etwa, weil wir rückfällig geworden sind und auf chlorgebleichtes Papier zurückgegriffen haben, nein, moderne Technologie macht‘s möglich: weißes Recyclingpapier ohne Mehrkosten. Wer sagt‘s denn!