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In einer Erinnerung an seinen vor 20 Jahren von Militärs in El Salvador ermordeten Freund Jürg Weiss, bemerkt Beat Schmid in dieser ila, dass vieles von dem, wofür Jürg in den Achtzigern gekämpft hat, trotz des zeitweiligen Siegeszugs des Neoliberalismus heute in Lateinamerika wieder auf der Tagesordnung steht: „Cuba hat überlebt und strahlt weiterhin seine Faszination aus, diejenigen, die 1994 (in Chiapas – die Red.) ,ya basta‘ schrien, konnten nicht totgeschwiegen werden, ein ehemaliger Bischof hat in Paraguay die Landreform zum Ziel seiner Präsidentschaft erkoren, der erste indigene Präsident hat Bolivien Hoffnung, Rohstoffe und Würde zurückgegeben, die Yankees müssen ihre Militärbasis in Ecuador räumen und die Ölmultis sich in Venezuela neuen Regeln beugen, die ihre maßlosen Gewinne beschneiden, um nur einige Beispiele zu nennen.“

Zweifellos geschehen heute in Lateinamerika Dinge, die wir uns vor zehn Jahren kaum vorstellen konnten. Damals schien die neoliberale Dampfwalze unaufhaltbar zu sein: Öffentliche Unternehmen wurden an internationale Konzerne verramscht, die sozialen Sicherungssysteme zerstört, die staatlichen Bildungs- und Gesundheitsstrukturen ausgetrocknet, der Agrarsektor noch stärker auf die Exportproduktion orientiert und die Vormachtstellung des auf kurzfristige Profite orientierten Finanzkapitals durchgesetzt.

Die Linke hatte dem lange wenig entgegenzusetzen. Ihre Parteien und Gewerkschaften erschöpften sich in Abwehrkämpfen, viele Mitglieder blieben weg, weil der Überlebenskampf ihre ganze Kraft erforderte und sie auch nicht mehr genau wussten, wofür sie eigentlich noch kämpften. Der Zusammenbruch der sozialistischen Staaten in Osteuropa hatte nicht nur die moskautreuen KommunistInnen in eine tiefe Krise gestürzt, sondern alle linken Organisationen, die an die Machbarkeit einer sozialistischen Alternative glaubten. Dazu kamen hausgemachte Defizite, wie hierarchische Strukturen, fehlende innerparteiliche Demokratie und machistische Strukturen.

In der Krise traten neue Akteure auf den Plan. Soziale Bewgungen, die sich in den Kämpfen gegen die Folgen der neoliberalen Umstrukturierung neu formiert hatten, wie Stadtteilorganisationen, bäuerliche Bewegungen, Wasser- und Umweltinitiativen, Arbeitslosengruppen. Dazu kam das Erwachen der indigenen Bevölkerung, für die die Gegenaktivitäten zu den offiziellen Feierlichkeiten des 500. Jahrestags der Entdeckung Lateinamerikas 1992 zur Initialzündung wurde.

Im Zusammenspiel mit diesen sozialen Bewegungen formierte sich die Linke neu. Es entstanden neue Bündnisse, die leninistische Parteimodelle hinter sich ließen und sich programmatisch neu orientierten. Dabei war die Überwindung hierarchischer Strukturen ein großer Fortschritt und machte die Zusammenarbeit mit den autonomen sozialen Bewegungen überhaupt erst möglich. Programmatisch löste sich die Linke teilweise von ihrer Staatsfixiertheit, von dem Glauben, über die Kontrolle des Staatsapparates die Gesellschaft verändern und demokratisieren zu können. Bei der Betrachtung der politischen Neuorientierung sollte man nicht außer Acht lassen, dass die in einer Phase erfolgte, in der die Linke absolut in der Defensive war.

In den neunziger Jahren erschien es vielen realitätsfern, für die Verstaatlichung der Großbanken, ArbeiterInnenselbstverwaltung in den Betrieben, eine Neuordnung der Landbesitzverhältnisse oder eine Nichtbezahlung der Auslandsschulden einzutreten. Die Programme der neuen linken Allianzen setzten deshalb die vom Neoliberalismus etablierten Strukturen als gegeben voraus. Die Rohstoffexportmodelle als Grundlage der lateinamerikanischen Volkswirtschaften – inklusive ihrer ökologischen Kosten – wurden nicht mehr in Frage gestellt.

Als das neoliberale Modell zunehmend in die Krise geriet und in den meisten Ländern Südamerikas linke Bewegungen die Wahlen gewannen, wurde dies die Grundlage ihrer Regierungspolitik. Das bestehende Wirtschaftsmodell sollte optimiert werden (z.B. durch die Eliminierung der grassierenden Korruption und die Zurückdrängung ausländischen Einflusses) und seine wirtschaftlichen Erlöse auch den bisher sozial Ausgegrenzten zu Gute kommen. In dieser Logik agieren heute die linken oder besser gesagt Mitte-Links-Regierungen in Lateinamerika. Und die Erfolge scheinen ihnen Recht zu geben. Mit Ausnahme der in jüngster Zeit kriselnden linksperonistischen Regierung in Argentinien verzeichnen alle von der Linken gestellten Regierungen eine hohe Zustimmung.

Wir verfolgen diesen Prozess in der ila kontinuierlich, fanden es nun aber an der Zeit, ihm einen ganzen Schwerpunkt zu widmen. Dabei wollten wir nicht Land für Land mit den gleichen Fragestellungen analysieren und vergleichen, sondern in den jeweiligen Länderbeispielen unterschiedliche Aspekte in den Vordergrund stellen. Wenn etwa zwei Artikel die außerordentliche Popularität der Regierung Lula in Brasilien untersuchen, heißt das nicht etwa, dass Lula populärer als seine KollegInnen in anderen Ländern ist. Oder wenn wir die fehlende Förderung kleinbäuerlicher ProduzentInnen in Ecuador oder Bolivien ansprechen, bedeutet das keinesfalls, dass diese Förderung andernorts funktionierte.

Wichtig war uns auch unterschiedliche Positionen zu Wort kommen zu lassen, um die Bandbreite der linken Debatte über die Veränderungsprozesse in Lateinamerika deutlich zu machen. Wir hoffen, dass uns dies gelungen ist und dieser superdicke ila-Schwerpunkt viel Diskussionsstoff bietet!