Im Jahr 1989 fanden die ersten direkten Präsidentschaftswahlen nach der Militärdiktatur statt. Ein bärtiger, linksgerichteter Gewerkschafter stellte sich zur Wahl. Er scheiterte und versuchte es wieder und wieder, bis er 2002, beim vierten Mal, mit einer „fantastischen Mehrheit gewählt wird“, erinnert sich Antonio Marques, ein brasilianischer Gewerkschaftsaktivist. Luiz Inácio „Lula“ da Silva, von dem hier die Rede ist, brachte die Stimmung nach seiner Wahl in einer emotionalen Ansprache auf den Punkt: „Die Hoffnung hat die Angst besiegt.“

Am 3. Oktober 2010 finden in Brasilien nun erneut Wahlen statt. Staatspräsident bzw. -präsidentin, Gouverneure der Bundesstaaten, SenatorInnen sowie die Abgeordneten im Nationalkongress stehen zur Abstimmung. Nach zwei Amtszeiten darf Lula da Silva nicht noch einmal kandidieren, doch er hat das große Land nachhaltig geprägt. Seine bevorzugte Nachfolgekandidatin Dilma Rousseff verspricht Kontinuität und könnte nach aktuellen Prognosen schon in der ersten Wahlrunde die 50 Prozent-Hürde nehmen. Wesentlich für ihre guten Wahlchancen ist die Popularität des scheidenden Präsidenten, die mit der boomenden Wirtschaft Brasiliens stetig mitgewachsen ist.

Außenpolitisch mischt „der grüne Riese“ mittlerweile an vorderster Front mit und gilt als neue Regionalmacht. Brasilien steht im Jahr 2010 auf Platz acht der Wirtschaftsweltrangliste – noch vor Kanada, Russland und Australien. Das Land kann als eine der wenigen globalen Großmächte für seine Energieversorgung komplett selbst aufkommen und die brasilianischen Großunternehmen gehören schon längst zu den ganz dicken Fischen: Das Bergbauunternehmen Vale do Rio Doce ist global führend in der Eisenerzförderung, Petrobras das viertgrößte Erdölunternehmen und JBS Friboi die größte Gefrierfleischfabrik weltweit, um nur einige zu nennen. Und unter den zehn größten Banken des Planeten sind im Jahr 2010 sogar drei brasilianische gelistet.

So viel global player war noch nie. Was natürlich seine Schattenseiten hat. Die Agrarpolitik Lulas ist streng auf Modernisierungskurs und setzt auf ein Agrarexportmodell, das Agrarindustrie und großflächigen Anbau begünstigt. So sind z.B. der Anbau von Zuckerrohr und Ölpalme (für die Agrotreibstoffproduktion) expandiert, ebenso Soja (Futtermittel) und Eukalyptus (Zellulose). Der Druck auf das landwirtschaftlich nutzbare Land nimmt zu und die zu befürchtende Ausdehnung in hochsensible Ökosysteme wie Amazonasregenwald, Cerrado und Pantanal droht die einzigartige Biodiversität dieser Regionen zu zerstören.

Das rasante Wirtschaftswachstum und Lulas Sozialpolitik haben zwar einige Umverteilungseffekte ermöglicht, sodass die Armutsrate gesunken ist. Doch nach wie vor herrscht extreme soziale Ungleichheit in Brasilien, die Konzentration von Landbesitz gehört zu den größten weltweit. Wie ist es eigentlich um die Agrarreform bestellt? Lula war doch 2002 mit dem Versprechen angetreten, eben jene in Angriff zu nehmen. Lula steht für den Wandel, heißt es immer wieder, aber in einigen Bereichen ist doch manches noch beim Alten geblieben.

Der Künstler Nelson Sura aus Porto Alegre findet ein mildes abschließendes Urteil: „Natürlich konnte Lula mit den letzten acht Jahren seiner Amtszeit nicht 500 Jahre Elend wiedergutmachen und er ist auch nicht der beste Politiker, den wir je hatten. Auch in seiner Regierung hat es viel Korruption gegeben. Aber in einem so großen Land wie Brasilien ist ein Zeitraum von mindestens 30 Jahren notwendig, um alle anstehenden Probleme zu lösen.“ Das sind doch mal Aussichten. Wie gesagt: In Brasilien hat die Hoffnung die Angst besiegt, in diesem so enormen und vielfältigen Land scheint auf jeden Fall viel möglich. Wir haben nun in unserem Oktober-Schwerpunkt einen Rückblick auf acht Jahre Brasilien unter Lula und der Arbeiterpartei PT unternommen – sei es in der Wirtschafts-, der Sozial-, der Außen- oder der Kulturpolitik – und wagen gleichzeitig einen Ausblick auf die Post-Lula-Ära. Ein großes Dankeschön geht dieses Mal an die Leute von der Brasilienkoordination KoBra, die mit Beiträgen, Ideen und Autorenvorschlägen zum vorliegenden Schwerpunkt nicht unwesentlich beigetragen haben.