Der Krieg in der Ukraine und seine möglichen Konsequenzen werden natürlich auch in Lateinamerika diskutiert, sowohl in linken wie in konservativen Zusammenhängen. Die Positionen in der Linken waren weitgehend vorhersehbar: Viele traditionelle, eher staatsfixiert und autoritär denkende Linke, die in den USA traditionell die Wurzel allen Übels sehen, wollten den russischen Überfall nicht verurteilen, die antiautoritären und antietatistischen Linken haben ihn dagegen scharf kritisiert und die ihm zugrunde liegende imperiale Großmachtlogik zurückgewiesen, ohne deshalb gleich die Positionen der konservativen Regierung der Ukraine zu übernehmen. Überraschender waren die Reaktionen der rechten Kräfte in Lateinamerika, die sehr zurückhaltend reagierten, man könnte auch sagen, herumeierten, weil sie einerseits die traditionellen Beziehungen mit den USA und andererseits die neuen wirtschaftlichen Verbindungen mit Russland und China nicht gefährden wollten. Befremdlich mutet indessen an, dass es offensichtlich in der Linken wie der Rechten Leute gibt, die bis heute nicht realisiert haben, dass die Sowjetunion seit 30 Jahren nicht mehr existiert und in Russland heute rechtsnationalistische Kräfte regieren, die mit den Faschisten im In- und Ausland eng verbandelt sind.
Das an der Universität Bielefeld angesiedelte Maria Sibylla Merian Center for Advanced Latin American Studies (CALAS), das sich der transdisziplinären wissenschaftlichen Kooperation in den Sozial- und Geisteswissenschaften zwischen Lateinamerika und Deutschland widmet, hat seine lateinamerikanischen Partner*innen um kurze Beiträge zur Wahrnehmung des Ukraine-Krieges in ihren Ländern gebeten und daraus eine spanischsprachige Online-Publikation zusammengestellt (http://calas.lat/en/publicaciones/otros/la-guerra-en-ucrania-miradas-desde-américa-latina). Daraus haben wir für diese ila mit freundlicher Genehmigung von CALAS die Beiträge zu Venezuela, Argentinien, Uruguay und Ecuador übersetzt.
ila 454, April 2022